Das japanische Schulsystem ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Der Unterrichtsinhalt variiert natürlich von Land zu Land, aber im Allgemeinen lernen Schüler überall auf der Welt Mathematik, Sprachen und kreative Beschäftigungen.
In Japan gibt es einen zusätzlichen Unterricht, den viele Länder nicht in ihren Lehrplan aufnehmen: die sogenannte „Moralische Erziehung“.
Mittlerweile ist dieser Unterricht für Grund- und Mittelschüler verpflichtend, auch wenn die Einführung nicht ohne Kontroversen verlief. Welche Inhalte werden gelehrt und wie kann man Kindern Moral vermitteln?
Geschichte
Moralische Erziehung gilt in Japan als umstritten, da dies nicht das erste Mal ist, dass eine derartige Erziehung im öffentlichen Schulsystem ausprobiert wird.
Im Jahr 1890 wurde unter Kaiser Meiji das Kaiserliche Bildungsreskript als Dokument zur Bildungspolitik der Regierung Japans verfasst. Dieses wurde bei Schulveranstaltungen vorgelesen und die Schüler wurden aufgefordert, es auswendig zu lernen.
Besonders ein Abschnitt wirft heute viele Fragen auf, nämlich die Passage „Wenn eine Notlage eintritt, stellt euch mutig dem Staat zur Verfügung.“ Diese von der Bevölkerung stark angenommene Meinung erwies sich als verheerend.
1947 wurde das Grundgesetz für Bildung verabschiedet, das den Staat aus dem Bildungswesen heraushielt. Moralische Erziehung wurde zwar immer noch gelehrt, aber viel weniger formell, und die Inhalte wurden den einzelnen Schulen und Lehrern überlassen.
Dieses Gesetz wurde 2006 überarbeitet, was zu Befürchtungen führte, dass die Regierung mehr Kontrolle über die Inhalte der Moralerziehung haben möchte.
Was wird gelehrt
Die vier Hauptpfeiler der neuen moralischen Erziehung sind Güte, Loyalität, Respekt und Gegenseitigkeit. Bei Güte geht es um die eigenen Fähigkeiten und Gedanken, Loyalität umfasst Loyalität gegenüber der Familie, der Schule und der Nation.
Respekt umfasst nicht nur Respekt für andere Menschen, sondern auch deren Ideen und Sorge für die Umwelt. Gegenseitigkeit umfasst Themen wie Manieren, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Es gibt nichts in der offiziellen Moralerziehung, woran viele jemals etwas auszusetzen hätten.
Die größte Sorge ist: Wird der Patriotismus der Kinder benotet?
Über das Lehrbuch hinausgehen
Auch wenn sie durch strukturierten Unterricht und ein Lehrbuch formalisiert wird, ist moralische Erziehung im japanischen Schulsystem nichts Neues. Bildung bedeutet nicht nur, Wissen zu erwerben, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen, sondern im Wesentlichen, eine vielseitige Persönlichkeit zu formen.
Viele japanische Ideale sind von den Lehren des Konfuzius beeinflusst, insbesondere die Vorstellungen vom Respekt gegenüber Älteren und Mitschülern. Alle Schüler stehen auf und verneigen sich gemeinsam vor dem Lehrer in einer formalisierten Begrüßung. Dies tun sie schon seit der Grundschule.
Die Untergebenen respektieren die Älteren, und im Gegenzug haben die Vorgesetzten eine moralische Verpflichtung, die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft zu schützen. Die Kultur des Senpai und Kouhai beginnt auch in jungen Jahren, insbesondere in der Vereinsarbeit.
Auch das Mittagessen ist eine Lektion
Auch das Mittagessen in der Grundschule ist Teil des Lernprozesses. Die Schüler gehen abwechselnd in die Küche, um das Mittagessen für die ganze Klasse zu holen, und sie sind auch die Kellner für diesen Tag. Während sie weg sind, decken die anderen aus der Klasse die Tische und legen Essstäbchen für alle bereit.
Alle Kinder bekommen ihr Essen serviert und nach den traditionellen Worten „Itadakimasu“, womit für das Essen gedankt wird, essen alle gemeinsam. So wird nicht nur sichergestellt, dass kleine Kinder in der Schule eine herzhafte und gesunde Mahlzeit bekommen, sondern auch Teamwork und gute Manieren betont.
Nach dem Mittagessen putzen die Schüler das Klassenzimmer und in manchen Schulen sogar den Flur und die Toilette. In der Mittel- und Oberstufe geht es dann weiter mit „o soji“, dem Aufräumen der Schule, wenn der Schultag zu Ende ist.
Schulen beschäftigen keine Hausmeister, die Schüler bringen den Müll raus, fegen die Flure und wischen die Tafeln ab. Diese Aktivitäten betonen und vermitteln moralische Erziehung weitaus besser, als es das Schulbuch je könnte.
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